Zur Entwicklung der formalen Quoren für die Bildung einer Fraktion im Europäischen Parlament

Zur Entwicklung der formalen Quoren für die Bildung einer Fraktion im Europäischen Parlament
[Lesebeispiel: Im Jahr 1984 waren mindestens 21 MEPs zur Bildung einer Fraktion nötig, wenn diese aus nur einem Mitgliedsland stammten. Es waren 4,84% der damaligen Gesamtzahl MEPs aus 10% der damaligen Anzahl EG-Mitgliedsländer nötig. Fanden sich 1984 MEPs aus zwei Ländern, also aus 20% der damaligen Anzahl EG/EU-Mitgliedsländer zusammen, waren nur 15 MEPs bzw. 3,46% der damaligen Gesamtzahl MEPs für eine Fraktion nötig.]

Von 1979 bis 2004 gab es statisch festgelegte Staffelungen der Mindestanforderungen. Die Anteilswerte der verschiedenen Quorumskombinationen verhalten sich dabei ausnahmslos entgegengesetzt zueinander, wird der eine Wert größer, wird der andere kleiner und andersrum. Das entspricht der spätestens seit 1979 verfolgten politischen Logik, im EP tendenziell Transnationalität zu fördern, also die formalen Hürden für eine Fraktion niedriger zu machen, je mehr Mitgliedsländer vertreten sind und andersrum.

Im zeitlichen Verlauf gibt es drei Zeitpunkte, zu denen sich die Werte in gleicher Richtung verändern. 

* Von 1958 auf 1979: Die Gesamtanzahl der EG-Mitgliedsländer erhöht sich um 50%, die Gesamtzahl der MEPs sogar um 188%. Die absolute Anzahl der für eine Fraktion erforderlichen MEPs steigt um nur 23%, die der erforderlichen Herkunftsländer gar nicht. Infolge fallen also die Anteile beider Quoren, allerdings nicht gleichermaßen, die Anzahl MEPs etwa um die Hälfte, die Anzahl Herkunftsländer etwa um ein Drittel.

* Von 2007 auf 2009 steigen beide, von 2009 auf 2014 fallen beide Anteile leicht: In 2009 handelt es sich um eine Anpassung aller drei Größen Gesamtzahl MEPs, erforderliche Anzahl MEPs und erforderliche Anzahl Herkunftsländer, in 2014 wurde lediglich die Gesamtzahl der MEPs erhöht. 

Während in 1979 eine relativ große Anpassung der Quoren nach unten erfolgte, kann die Anpassung des MEP-Anteils 2009 vor allem bezogen auf das niedrige Ausgangsniveau als relativ großer Schritt nach oben, die gesamte Veränderung nach unten 2014 wiederum als eher geringfügig gewertet werden.

Eine zentrale Entwicklung über die Zeit ist folgende: Spätestens seit 20071 gibt es nur noch für die erforderliche Anzahl MEPs einen statisch festgelegten Wert, die Anzahl der nötigen Herkunftsländer ist mit einem Viertel aller Mitgliedsstaaten relativ formuliert. Es ist gerade dieses Quorum, welches mit aktuell 25,93% (Stand 12/2022) über die Zeit deutlich erhöht wurde, während der Anteil erforderlicher MEPs an deren Gesamtzahl mit aktuell 3,26% sehr niedrig festgesetzt ist. Bei Betrachtung der Werte für zwei Herkunftsländer 1979 und für drei Herkunftsländer 1989 zeigen sich bereits ähnliche Anforderungen. Eine nationale Parteidelegation von 21 MEPs, die 1979 bei nur einem Herkunftsland für eine Fraktion nötig gewesen wäre, war für die extreme Rechte zu diesem Zeitpunkt aufgrund elektoraler Schwäche völlig unrealistisch. In dieser Perspektive also wurde die Bildung einer EP-Fraktion, zumindest seit 1979 und zumindest für die extreme Rechte, weder besonders erleichtert noch besonders verschärft.

Quellen

Geschäftsordnungen des EP

1 Geschäftsordnung 2004, 15. Auflage liegt leider nicht vor. Sehr wahrscheinlich gilt dies auch schon für 2004.